Moral, Integrität und Privatsphäre

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Bitcoin ist nun 14 Jahre alt, und wie fast alle Teenager ist die orange Münze meist un- und missverstanden.

Bitcoin ist digitales Geld, Bitcoin ist elektronisches Gold, Bitcoin ist nur für Verbrecher, Bitcoin ist schlecht für die Umwelt, Bitcoin ist dies, Bitcoin ist jenes.

Manche sind schon einen Schritt weiter. Sie haben akzeptiert, dass Bitcoin ist, und nun fragen sie sich, warum Bitcoin so ist, und nicht anders?

Warum sind es 21 Millionen, und nicht 42? Warum 10 Minuten, und nicht eine? Warum braucht es Energie, und warum ist es nicht perfektestens privat?

All diese Fragen sind legitim, aber da Raum und Zeit begrenzt sind - sowohl hier, als auch in Bitcoin - werde ich mich ausschließlich auf die letzte Frage konzentrieren: die Frage der Privatsphäre. Oder umgekehrt: die Frage der Transparenz.

Warum ist Bitcoin transparent? Und muss es das sein? Um dies zu beantworten, müssen wir uns zuerst eine andere Frage stellen: Was ist der Sinn von Bitcoin? Und warum gibt es Bitcoin überhaupt?

Wenn mich jemand zwingen würde, diese Frage in einem Wort zu beantworten, dann wäre meine Antwort folgende: Integrität.

Die ersten Nachrichten von Satoshi machen klar, dass er mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte: Micropayments, Kreditblasen, Mittelsmänner, und vieles mehr. Doch die größte Fliege ist wohl die Rückkehr zu gesundem Geld: einem Geld mit Integrität.

Auf einer rein persönlichen Ebene sind Anonymität und Integrität antonym, sprich: gegensätzlich. Wenn wir der Meinung sind, dass jemand Integrität hat, bedeutet dies, dass uns dieser jemand bekannt ist, und dass er oder sie in der Vergangenheit mit Integrität gehandelt hat. Wenn uns eine völlig fremde Person eine Nachricht schickt, ohne Hinweise auf Historie oder Identität, dann ist es uns unmöglich, etwas über die Integrität dieser Person auszusagen. Integrität und Historie sind somit ebenso verbunden wie Integrität und Identität, ob Pseudonym oder nicht.

Integrität bedeutet Ganzheit, Vollständigkeit, Unversehrtheit. Auf einer moralischen Ebene ist Integrität synonym mit Lauterkeit, Rechtschaffenheit und Unbescholtenheit. In der Informatik und in Bezug auf Daten versteht man unter Integrität Richtigkeit, Vollständigkeit und Konsistenz.

Bitcoin ist ein Informationskonstrukt welches letzteres—Informatik (und Physik)—verwendet um ersteres—Vollständigkeit, Unversehrtheit und Ganzheit—auf einer monetären Ebene wiederherzustellen. Und durch diese Wiederherstellung erlaubt es auch eine Rückkehr zu einer höheren Moral: Lauterkeit, Rechtschaffenheit, und Unbescholtenheit.

Warum dieses ganze Geschwafel über Moral? Und was hat dies alles mit Transparenz und Privatsphäre zu tun?

Ganz einfach: Die Datenintegrität, welche Bitcoin mit sich bringt, kommt nur teilweise von der privaten Sphäre; jene Sphäre, welche die privaten Schlüssel aller Nutzer innehält. Der andere Teil, der Teil welcher die Integrität der öffentlichen Sphäre sicherstellt, die Integrität der Materie an sich (eine Materie die man eventuell Bitcoinium nennen mag) kommt von vollständiger, nachweisbar unversehrter, und vollkommen einsichtiger Information.

Transparenz ist die Kehrseite der Überprüfbarkeit, und es ist diese Überprüfbarkeit, die es uns erlaubt, ein Geld zu besitzen, ohne anderen vertrauen zu müssen.

Datenintegrität ohne Privatschlüssel, ohne Geheimnisse. Das ist das was Bitcoin bringt, und darum braucht es auch Energie, da Energie offensichtlich ist. Ohne Energie keine öffentliche Datenintegrität; ohne öffentliche Datenintegrität kein Vertrauen.

“Aber was ist mit XY,” höre ich dich aus den hinteren Rängen schreien. Dein liebes XY, egal ob Shitcoin oder CBDC, benötigt spezielle private Schlüssel um Datenintegrität zu gewährleisten, falls Integrität überhaupt gegeben ist. Üblicherweise passiert dies über einen sogenannten “master key”, welcher per Zeremonie oder Fiat erstellt wird. Ob es ein einzelner Schlüssel ist oder ein Gremium an Schlüsseln ist irrelevant. Relevant ist, dass man diesem Schlüssel vertrauen muss. Und da ist sie schon wieder, die Wurzel allen monetären Übels: Vertrauen.

Man muss dem Master Key vertrauen, der Zeremonie der Erstellung, den Menschen, welche den Schlüssel halten, und so weiter und so fort. Integrität ist nicht mehr offensichtlich, da Teile der Historie nicht mehr offen und für die Öffentlichkeit nicht mehr ersichtlich sind.

Und das bringt uns zur Privatsphäre: Warum ist Bitcoin nicht perfektestens privat? Warum kann es und soll es das nicht sein?

Wenn alles absolut privat wäre, wäre es sehr schwierig die Integrität des ganzes Systems zu überprüfen, zumindest auf eine einfache und für jeden ersichtliche Art und Weise. Wie viel Bitcoinium ist im Umlauf, und hat auch wirklich niemand geschummelt? Hat jemand etwas zu viel Bitcoinium aus dem Hut gezaubert, oder jemanden anderen hintergangen? War jegliche Ausschüttung von neuem Bitcoinium legitim und fair? Und ist das was ausgeschüttet wurde auch noch vorhanden?

Dank Bitcoin’s Transparenz können wir ohne Zweifel nachweisen, dass der einzige Satoshi, der jemals verschwunden ist, Satoshi Nakamoto war. Alle anderen Satoshis sind buchhalterisch einsehbar und ohne jegliches Vertrauen Dritter überprüfbar.

Aber ja, Bitcoin soll, kann, und muss privater werden. Überwachung macht viele unserer Freiheiten unnütz; sie ist ein Direktangriff auf die Würde der Menschen, welche ja unantastbar sein sollte.

Wer glaubt, dass Überwachung harmlos sei, der sollte sich bewusst sein dass jegliche Überwachung, ob explizit oder nicht, Verhalten steuert und ändert. Ein flüchtiger Blick auf jegliche “versteckte Kamera”-Show zeigt dies deutlich: Alles ändert sich, wenn einem bewusst wird, dass man gefilmt wurde. Die Stimme in der Dusche verstummt, das Tanzen im Wohnzimmer hört auf.

“Dance like nobody’s watching, encrypt like everyone is.” Verschlüssele, als ob jeder zuschauen würde. Zumindest im Internet haben wir das gelernt.

Es hat rund 30 Jahre gedauert, um von HTTP auf HTTPS zu wechseln, aber wir haben es geschafft. Und ja, es hat die Enthüllungen von Edward Snowden gebraucht, bis es uns ernst wurde. Und möglicherweise brauchen wir für das HTTPS von Bitcoin ähnliche Enthüllungen, aber es muss und wird kommen. Und es wird auch zunehmend ernst werden, denn CBDCs sind unausweichlich.

In den nächsten Jahren, ja vielleicht schon in den nächsten Monaten, werden die ersten CBDCs aktiv werden, und mit ihnen totale Überwachung und Kontrolle. “Mit CBDCs werden die Zentralbanken die vollständige Kontrolle über die Regeln und Vorschriften haben,” so Agustín Carstens in 2020. Regeln und Vorschriften bezüglich Geld—unserem Geld. Wer darf es ausgeben, und wer nicht? Wer darf es ansparen, und wer nicht? Wer darf mit wem Handeln, und wer ist vom Handel ausgeschlossen? Wer darf welche Güter beziehen, und wer hatte dieses Monat schon zu viel Fleisch, zu viel Benzin, zu viel Gas, oder zu viel Nikotin konsumiert? Wer darf noch Dünger kaufen, und wer hatte schon genug? Wer bekommt noch eine Rolle Klopapier, und wer hatte schon eine Rolle zu viel? All diese Fragen will der liebe Agustín, der dicke Kopf der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, für dich und mich beantworten. Zentral, autoritär, und unwiderruflich.

Bitcoin stellt den Gegenpol dar und bietet Zuflucht. Und weil es Zuflucht bietet, wird es auch reguliert und verboten werden. „Es muss Regulierung geben,” so Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank. “Diese [Regulierung] muss angewendet und vereinbart werden … auf globaler Ebene, denn wenn es eine Fluchtmöglichkeit gibt, wird diese Fluchtmöglichkeit genutzt werden.”

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Das Oberhaupt der “Bank der Zentralbanken” will Bargeld verschlimmbessern und verlangt die totale Kontrolle über alle Transaktionen dieser Welt. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank meint, dass man alle Fluchttüren verriegeln soll, weil sonst würden die Menschen ja aus diesem wunderbaren CBDC-System flüchten. Schöne neue Welt.

Wir brauchen Bitcoin, und wir brauchen Privatsphäre. Gesundes Geld ist nicht genug. Es muss uns auch erlaubt sein, im Privaten zu denken und zu handeln. Ohne freies Denken kein freies Handeln. Ohne Meinungsfreiheit keine freie Gesellschaft; ohne freien Handel kein Wohlstand.

Wir brauchen HTTPS für Bitcoin, und wir brauchen es bald. Und ja, auch dieses HTTPS wird nicht perfekt sein. Aber es wird besser sein als der Status Quo, und hoffentlich “good enough.” Lightning ist bereits besser als on-chain, sowohl was die Geschwindigkeit als auch die Privatsphäre betrifft. Und höhere (oder andere) Layer werden noch besser sein.

Ich bin nach-wie-vor der Meinung, dass Agustín Carstens der Endboss von Bitcoin ist, da er das Oberhaupt der “Bank der Zentralbanken” darstellt. Die BIZ, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, macht in der Fiat-Welt das, was Bitcoin automatisch alle 10 Minuten macht: sie gleicht Zahlungen aus, sie ist für das “Settlement” zuständig.

Bitcoin ist ein Settlement-Layer, und Bitcoinium ist das, was “gesettelt” wird. Eine der ersten Einsichten über Bitcoin war, dass es Bitcoin Banken geben wird, da das Protokoll niemals im Stande sein wird, alle Transaktionen dieser Erde zu bedienen. Hal Finney hatte diese Einsicht im Dezember 2010:

Tatsächlich gibt es einen sehr guten Grund für die Existenz von Bitcoin-gestützten Banken, die ihre eigene digitale Bargeldwährung herausgeben, die gegen Bitcoin eingelöst werden kann. Bitcoin selbst kann nicht so skaliert werden, dass jede einzelne Finanztransaktion auf der Welt an alle übertragen und in die Blockchain aufgenommen wird. Es muss eine sekundäre Ebene von Zahlungssystemen geben, die leichter und effizienter ist.

Hal Finney

Leichter und effizienter. Das Lightning Netzwerk ist dies bereits, da ein lokaler Abgleich immer leichter und effizienter sein wird als ein globaler. Und sehr bald wird es auch die Bitcoin-gestützten Banken geben, von denen Hal Finney sprach. Stichwort: (Fedi)Mint. Leicht, effizient und von Haus aus privat. Perfekt wird es allerdings wieder nicht sein, denn der Chaum’sche Traum von eCash bringt eben ein Haus mit sich: ein Konstrukt, welches die Bitcoin-gestützte Bank haust. Und den Hütern dieses Hauses muss man sehr wohl vertrauen, zumindest zu einem gewissen Grad.

Doch all dies ändert nichts an der wichtigsten Eigenschaft, welche Bitcoin mit sich bringt: die Integrität. Eine Integrität, welche unsere Gesellschaft tiefgründig ändern wird. Und sobald gesundes Geld wieder ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft ist, wird hoffentlich auch das Vertrauen zurückkehren. Das Vertrauen in uns. Das Vertrauen in die Zukunft. Und hoffentlich auch das Vertrauen, dass hinter verschlossenen Türen meist nichts Böses geschieht, sondern nur etwas Privates.

Bitcoin vertraut darauf, dass die meisten Menschen gut sind, sonst würde das ganze System nicht funktionieren. Es vertraut darauf, dass ein Schwarm ehrlicher Menschen stärker ist als jeglicher Angreifer, auch wenn wir nichts—oder nur sehr wenig—über diese Menschen wissen. Integrität durch Pseudonymität; das ist der Schlüssel.


This text was written at 795,921 and published originally in print for the fourth issue of the EINUNDZWANZIG magazine. You can buy a copy at einundzwanzig.shop


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