Als Bitcoiner haben wir das Argument rund um die Energieverschwendung schon zu genüge gehört: Bitcoin verbraucht mehr Energie als ein kleines Land, Bitcoin bringt die Ozeane zum Kochen, Bitcoin verdreckt und verschmutzt, macht unnötige—ja sogar sinnlose—Berechnungen, erzeugt Elektroschrott, und wird sowieso nur von Verbrechern und anderen bösen Menschen verwendet. Die Konklusio ist immer die gleiche: Bitcoin ist verschwenderisch oder sogar böswillig, Bitcoiner sind geldgierige Spekulanten denen die Natur egal ist, meist gefolgt von einem Vorschlag wie man es besser (sprich: energieeffizienter) machen könnte. Des Öfteren auch gefolgt von einem Aufruf zum Verbot, nicht nur von Bitcoin, sondern auch von Proof-of-Work im Allgemeinen.

In den Augen der Kritiker ist Bitcoin meist sinnlos, nutzlos und zwecklos. Diese Grundannahme kann nur zu einem Schluss führen: Jede Kilowattstunde, die vom Bitcoin Netzwerk “gefressen” wird, ist eine Kilowattstunde zu viel. Bitcoin ist pure Energieverschwendung.

Aber schon alleine dieses Wort, Energieverschwendung, sollte uns zu denken geben. Warum wird nicht von Energieverbrauch, oder sogar Energieaufwand gesprochen?

Verschwendung, Verbrauch und Aufwand sind nicht synonym. Ersteres ist wertebehaftet und somit von Haus aus ideologisch. Zweiteres ist konsumorientiert und vernachlässigt das Grundgesetz der Energie: dass sie nicht verbraucht, sondern nur umgewandelt werden kann. Nur der dritte Terminus, der Energieaufwand, erlaubt ein klareres Verständnis von Bitcoin und Energie.

Lasst uns, lieber Leser, zuerst jedoch bei der Verschwendung bleiben.

Energieverschwendung

Was Verschwendung ist und was nicht liegt, wie auch bei der Schönheit (und der Hässlichkeit), im Auge des Betrachters. Es ist egal, ob es sich dabei um Energie- oder Zeitverschwendung handelt. Nur der Mensch kennt Verschwendung; die Natur kennt diese nicht. Und je nach Wertehierarchie ist das, was für den einen wertlose Verschwendung sein mag, für den anderen nicht nur wertvoll, sondern lohnend.

Was ist essentiell, was Luxus, was Exzess, und was Verschwendung? Und wer entscheidet das?

Der ganz normale Wasserverbrauch von einem durchschnittlichen österreichischen Haushalt gilt in den trockeneren Regionen dieser Welt als verschwenderisch. Wie viel Wasserverbrauch ist genug, und wann geht Verbrauch in Verschwendung über? Sind Schwimmbecken Verschwendung? Bäder? Springbrunnen? Und erneut: wer entscheidet?

Wie viel Wasser darf ein Haushalt, eine Firma, eine Person, eine Familie verwenden, oder sogar verschwenden? Wie viel Energie? Wie viel Elektrizität?

Und warum sollen wir bei diesen Fragen aufhören? Sind 3 Mahlzeiten am Tag Verschwendung, wenn eine reicht? Ist Autofahren Verschwendung, wenn man theoretisch auch überall zu Fuß hingehen kann? Wie viel Megabyte an Datenvolumen und/oder Speicherung sind ok? Ist Energieaufwand im Fitnessstudio erlaubt, oder ist jegliche Bewegung welche die aktive Person nicht von A nach B bringt unter verschwenderischem Körperkult zu verbuchen? Was ist mit Wäschetrocknern, welche Unmengen an Energie “fressen”? Könnte man die Wäsche nicht einfach auf eine Leine hängen? Wie viele Autos pro Person sind genug? Wie viele Computer, Handys, Kugelschreiber? Wie viele Blätter Papier, wie viele Bücher, wie viel Musik? Ist Musik essentiell, oder nicht? Ist sie effizient? Darf man noch Tanzen, wenn man am Ende des Tanzes wieder am gleichen Punkt ankommt? Wäre es nicht besser den Tanz aus Gründen der Ineffizienz zu verbieten?

Diverse Urvölker krümmen sich vor Lachen, wenn die Menschen aus dem Westen versuchen, ihnen das Prinzip des “Joggens” näherzubringen. Warum fünfmal um den Häuserblock laufen? Noch dazu ohne Aussicht auf Beute? Die Diskussion um Bitcoin’s Energieverschwendung kommt mir oft ähnlich vor, die Frage ist nur, welche Seite “primitiv” ist und welche “modern” und fortgeschritten. In den Augen der Kritiker ist Bitcoin primitiv und verschwenderisch. In den Augen der Bitcoiner gilt selbiges für Fiat-Geld.

“One man’s trash is another man’s treasure.” Was der eine nicht zu schätzen weiß, ist für den anderen ein wertvoller Schatz. Gold war wertlos für die Inkas, zumindest ökonomisch. Öl war nicht nur wertlos, sondern toxischer Schlamm. Erst als wir lernten, wie wir die in ihm gebundene Energie freisetzen konnten, verwandelte sich der Schlamm in das “schwarze Gold” der Neuzeit. Silizium war vergleichsweise wertlos, bevor wir lernten, das Kristall zu isolieren und in denkende Maschinen zu verwandeln, also Computerchips damit herzustellen.

Was wertvoll ist und was nicht, ist somit nicht nur von Person zu Person und von Kultur zu Kultur unterschiedlich, sondern auch von Zeit zu Zeit. Unsere Wertevorstellungen ändern sich, und somit ändert sich auch unsere Vorstellung davon, was Verschwendung ist und was nicht.

Auch ich war der Meinung, dass Bitcoin Energie verschwendet. Vor vielen Jahren. Inzwischen hat sich meine Perspektive jedoch so weit verändert, dass mir bewusst wurde, dass Bitcoin nicht nur Energie verbrauchen muss, sondern dass dieser Verbrauch essentiell ist. Elektronisches Bargeld kann nur durch Energieverbrauch natürliche Knappheit erlangen. Ohne Energieverbrauch wird jegliche Knappheit immer politisch bleiben.

Energieverbrauch

Bitcoin ist eine Antwort auf die moralische Frage des Besitzes. Wer darf Besitz haben, und wer darf enteignet werden? In anderen Worten: Darf jemand Geld drucken, und wenn ja, wer? Wer darf Geld ausgeben, wer darf es empfangen? Wie viel Geld ist genug? Dürfen Sparer durch Inflation bestohlen werden? Dürfen Personen von anderen Personen enteignet werden?

Besitz und Geld, Geld und Besitz: zwei Seiten der gleichen Medaille, und die Energie ist jenes Phänomen, welches diese Medaille schützt. Wir bauen Mauern und Tresore, Burgen und Schlösser, Boote und Panzer, um unseren Besitz, unser Geld und unsere physikalischen Körper zu schützen. Je mehr Energie für diesen Schutz aufgewandt wird, desto besser ist unser Eigentum beschützt.

Bezüglich dem Geld und der Energie lernen wir immer und immer wieder, dass Geld nur dann gutes Geld ist, wenn es nicht einfach aus dem Nichts erschaffen werden kann. Sobald Geld aus dem Nichts erschaffen werden kann, z.B. ohne Aufwand von Energie und Zeit gedruckt wird, ist der natürliche Schutz des Geldes aufgehoben, und die Aufgabe, welche das Geld an sich der Gesellschaft gegenüber hat, bricht zusammen. Handel, Vorsorge, Langzeitplanung, Finanzierung, ökonomische Kalkulation und Koordination werden unmöglich. Die Geschichtsbücher lehren uns, dass, sobald Geld und Energieaufwand entkoppelt sind—wie z.B. in China während der Song Dynastie, als Papiergeld das erste Mal erfunden und bis zum geht-nicht-mehr gedruckt wurde; oder gegen Ende des römischen Reiches, von Nero zu Diokletian, als der silberne Denarius von 90% Silberanteil auf nahezu 0% Silberanteil entwertet wurde; oder während der Hyperinflation in Weimar und Simbabwe, als die Geldscheine schneller gedruckt wurden als die Bevölkerung jene mit Schubkarren und Müllsäcken abtransportieren konnte—das Geld schnell seine Wirkung verliert. Das Resultat ist immer das Gleiche: Armut und Krieg.

Es ist kein Zufall, dass der Untergang eines Reiches so gut wie immer mit dem Untergang des Geldes einhergeht. Es ist auch kein Zufall, dass auf Geldentwertung Krieg folgt, und dass auf Krieg Geldentwertung folgt. Steuern sind generell unbeliebt; eine Kriegssteuer ist doppelt unbeliebt. Es ist doch viel einfacher, die ökonomische Energie welche für die Kriegsführung benötigt wird, direkt aus der Währung zu entnehmen. Einfacher, unauffälliger, und auch mit weniger Aufwand verbunden.

Energieaufwand

So kommen wir nun, über die Verschwendung und den Verbrauch, zum Aufwand. Damit etwas passiert, muss man Energie aufwenden. Dies ist ein grundlegendes Gesetz unseres Universums, auch wenn gewisse Fiat-Jünger uns stets vom Gegenteil überzeugen wollen.

Nun stellt sich die Frage: Was passiert in Bitcoin, und warum muss es Energie aufwänden?

Bitcoin braucht Energie, weil wir ohne Energieaufwand wieder beim Versprechen wären. Fiat ist Versprechen. Fiat lux, es werde Licht. Ich—als Gott, Autoritätsperson, Staat—spreche, und dann ist es so. Unabhängig von physikalischer Realität.

Und was wird in Bitcoin versprochen? Ganz einfach: Bitcoin verspricht dich nicht zu bestehlen. Weder durch Beschlagnahmung, noch durch Inflation. Wenn man dem steten Blockgeflüster zuhören könnte, würde man wohl folgenden Satz hören: “…du sollst nicht stehlen…du sollst nicht stehlen…du sollst nicht stehlen…” Alle 10 Minuten.

Dieses Versprechen—dass dein Besitz dein ist, und nur dein—ist die Essenz von Bitcoin. Und damit dieses Versprechen nicht nur ein Versprechen ist, sondern physikalische Realität, benötigt jeder neue Bitcoin Block eine gewisse Menge an Energie bis dieser spruchreif wird.

Die Geschichte zeigt uns, dass kein Mensch der Gelddruckerei widerstehen kann. Nichtmal Marcus Aurelius, der letzte “philosopher King” des römischen Reiches, konnte dieser Macht entsagen. Wir loben ihn noch heute für seinen Stoizismus, seine mentale Stärke, für seine Werte und seine hohe Moral. Doch auch er hat Geld “gedruckt”, indem er den Silberanteil des Denarius um etwa 10% verringert hat. Er hat somit ein Zehntel der wirtschaftlichen Lebenszeit (und Energie) von seiner produktiven Bevölkerung gestohlen. Eine wortwörtliche “Dezimierung” von biblischem Ausmaß.

Wir haben über viele Jahrtausende gelernt, dass niemand der Macht der Gelddruckmaschinen widerstehen kann. Niemand. Nicht du, nicht ich, und auch nicht der mächtigste und moralisch korrekteste Emperator aller Zeiten. Die Lösung fanden wir in Gold, welches uns erlaubt hat unsere Geldpolitik der Natur zu überlassen. Aus Politik wurde Physik, und das Problem des Geldes war ein-für-alle-mal gelöst.

Doch die physikalität von Gold ist seine Schwäche, denn Gold hält das oben genannte Versprechen nur für Inflation, nicht für Beschlagnahmung. Ich kann dein Gold stehlen, und der Staat kann es auch. Und weder du noch der Staat kann Gold teleportieren, warum wir erst Schuld- und dann Geldscheine erfunden haben. Papiergold ist ein technologischer Fortschritt; Papier-bitcoin ein Rückschritt.

Bitcoin ist somit eine Rückkehr zur Physik, aber Bitcoin ist nur über Umwege physikalisch. Bitcoin ist elektronisches Geld, nicht physikalisches Geld. Bitcoin ist Information, kein physikalisches Ding, aber in dieser Information steckt tatsächlich Energie, über den Umweg der Elektrizität.

Energie und Elektrizität sind übrigens auch nicht synonym, was die meisten Bitcoin-Kritiker ebenso gekonnt beiseite lassen. Energie kann nicht verbraucht werden, Elektrizität schon. Energie kann gespeichert werden, Elektrizität nicht. Energie ist im Überfluss vorhanden, Elektrizität, welche von Menschen für menschliche Zwecke verwendet werden kann, muss produziert, generiert und sofort verbraucht werden. Darum ist Bitcoin als Puzzlestück in der Elektrizitätsproduktion auch so wichtig, da es einzigartige Verbrauchereigenschaften hat. Ob Netzstabilisierung oder Produktionsanreiz, Bitcoin ist der “buyer of last resort” und nimmt jedes Elektron gerne für sich auf.

Es steckt schon im Titel des Whitepapers: “electronic” cash, elektronisches Bargeld. Bitcoin ist nicht digital, sondern elektrisch. Ich frage mich also, liebe Kritiker, warum elektrische Autos so gut sein sollen, und elektrisches Geld so schlecht?

Bitcoins Energieaufwand bietet Schutz und Stabilität. Nicht Preisstabilität, sondern Systemstabilität: Alle 10 Minuten kommt ein neuer Block. Alle 10 Minuten, dies ist das Naturgesetz von Bitcoin. Diese Blockproduktion braucht Energie, das Schürfen von Bitcoin nicht. Ohne Energie kein Naturgesetz, ohne Naturgesetz kein unpolitisches Geld.

Bitcoins Naturgesetz erlaubt, dass seine elektronischen Münzen nicht durch Energieaufwand geschürft, sondern über die Zeit unpolitisch und fair ausgegeben werden. Bitcoins Münzprägung ist somit nicht an den Energieaufwand gebunden, sondern an die Zeit. Darum wissen wir auch, dass bis zum Jahr 2140 neue Münzen in Umlauf kommen werden, und wie viele. Die Münzproduktion ist unabhängig vom Energieaufwand. Bitcoin’s Energieaufwand ist ein Messwert von Interesse und fairer Verteilung, nicht ein Messwert der Produktion durch Schürfung, wie es bei Gold der Fall ist.

Wenn das Interesse für Bitcoin bei Satoshi Nakamoto geblieben wäre, dann würde sich der heutige Energieaufwand von Bitcoin nach-wie-vor auf ca. 100 Watt pro Stunde beschränken, was etwa dem Energieverbrauch von einer einzelnen CPU von 2009 entspricht. Der Stromverbrauch wäre somit nahezu Null, die Anzahl der Münzen wäre jedoch die gleiche. Doch alle bis dato geschürften Münzen würden bei Satoshi liegen, und zentrales Geld ist gefährliches Geld. Es wäre auch ein Leichtes die Geschichte von Bitcoin zu überschreiben, das Geld zu manipulieren. Und das wäre alles andere als gesund.

Fix the money, fix the world. Zu Deutsch: Energieaufwand macht das Geld gesund, und gesundes Geld macht die Welt gesund. Digitales Geld ist schlechtes Geld, da es von Natur aus Fiat-Geld ist. Die Ausnahme ist Bitcoin, da sich hinter den Nullen und Einsen Physik versteckt. Nur elektronisches Geld kann gutes Geld sein. Nur Proof-of-Work erlaubt Datenintegrität ohne Geheimnisse.

Die eigentliche Frage ist somit: Wie viele Kilowattstunden ist sie uns wert, die gesunde Welt? Eine Antwort bleibt aus, da dies jedes Individuum für sich entscheiden muss. Was bleibt, ist die Frage: Die Frage nach der Energie.


This text was written at 795,921 and published originally in print for the third issue of the EINUNDZWANZIG magazine. You can buy a copy at einundzwanzig.shop


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